My #Punk Memories Vol. 2
Frau Pastor und die Skinheads
Auch hier ist es vielleicht 1984, Berlin-Spandau, und erscheint mir aus verschiedenen Gründen aufschreibenswert. Wir hatten mit der Band einen Übungsraum in der Kirche, gab da auch einen Jugendkeller. Und schon das ist bemerkenswert: Wir durften manchmal über Nacht allein da bleiben, sogar Parties und Konzerte veranstalten. Alles ganz antiautoritär. Ich meine, ich zum Beispiel war 15. Der Diakon war ein Hippie. Klaus-Dieter.
Eine dieser Parties gab etwas Aufsehen, weil eine Horde Skinheads mitfeiern wollte. Das wurde sicherlich etwas lauter, es ist wohl auch etwas kaputt gegangen. Aber das ist vielleicht auch mal bemerkenswert: Entgegen heute verbreiteten Stereotypen hatte das weder was mit Politik zu tun noch mit sonderlicher Brutalität. Wir hatten in unserer Band nacheinander drei Skinheads am Schlagzeug. Das war fast schon eine Tradition.
Jedenfalls hatte irgendwer die Polizei gerufen. Die kamen, wie in der vorigen Geschichte, wie die Friseure: Zu zweit, glaube ich, und im grünen Uniform-Röckchen mit Schirmmützchen. Diese beiden Erlebnisse waren dann auch die einzigen Male, dass ich die Herren nachts einzeln und ohne Selbstschutz in diesen Kreisen auftreten sah. Ich finde das bemerkenswert. Sie hatten ja Erfahrungen mit Randale, seit den 60ern mindestens, auch Anfang der 80er hatte es heftige Demonstrationen gegeben. Aber um 1984 herum scheinen sie auf die Bestellung „Punker und Leute mit Glatzköpfen“ in West-Berlin völlig arglos gekommen zu sein.
Die Polizisten waren schneller weg als gekommen, nachdem ihnen ein großer Pulk Skins entgegengestürmt war. „Polizei SA SS“, hatten die gerufen. Auch das für manchen heute vielleicht bemerkenswert. Und die Polizei kam auch nicht wieder zurück.
Wer aber kam war die Pfarrerin, von irgendwem alarmiert aus dem Nachbarbezirk. So eine ganz zierliche Frau. Die stapfte nun auf die pöbelnde Meute zu, erklärte, das gehe ja nun so nicht — und dann war Ruhe. Und auch das schließlich finde ich heute bemerkenswert. Ich meine, die wird sich ja nicht unter dem Schutzschild des Herren gewähnt haben, Frau Gerlach, glaube ich.
Sicherlich trug zur bereitwilligen Ruhe bei, dass die meisten Skins schon nicht mehr gut stehen konnten. Den größten, einen gewissen Blume, hatten wir bereits zum Wässern ins Badezimmer getragen. Aber der Punkt der mir erst heute richtig aufgeht ist der: Die Frau war es nicht gewohnt Angst zu haben. Wie die Polizisten zunächst wäre sie wohl gar nicht auf die Idee gekommen. Man war das nicht so gewohnt. West-Berlin war wie eine Kleingarten-Kolonie.
Der erste Teil steht hier: My Punk Memories Vol. 1
Christian Bredlow
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